Osmanisches Prunkzelt



Osmanisches Prunkzelt


Inventar Nr.: KP B XVII.429
Bezeichnung: Osmanisches Prunkzelt
Künstler / Hersteller: unbekannt
Datierung: 17. Jh.
Objektgruppe: Ausrüstung und Defensivwaffen
Geogr. Bezug: Osmanisches Reich
Material / Technik: Außenzelt: Grundgewebe Leinwandgewebe: Baumwolle, Leinwandbindung, grün, Kette 12 und Schuß 11 Fäden/cm, Z-Drehung
Gewebebreite: ca. 42 cm.

Innenzelt: Grundgewebe Leinwandgewebe: Baumwolle, Leinwandbindung, rot, Kette 13 und Schuß 12 Fäden/cm, Z-Drehung
Gewebebahnbreite: ca. 60 cm.

Innenzelt: Applikationen Leinwandgewebe: Baumwolle, Leinwandbindung, jeweils einfarbig: weiß, naturfarben, beige, mittelbraun, dunkelbraun, mittelblau, dunkelblau, tiefdunkelblau
Kette 14 und Schuß 13 Fäden / cm, Z-Drehung

Innenzelt: Applikationen Halbseidengewebe: Seide und Baumwolle, Atlasbindung, jeweils einfarbig gelb und hellblau, Kette nicht feststellbar und Schuß 15 Fäden / cm, Kette ungedreht und Schuß Z-Drehung

Gurte: Baumwolle, Leinwandbindung, hellrot, beige und naturfarben längsgestreift, Kette 9 und Schuß 3 Fäden / cm, Z-Drehung
Gewebebreite: 5 cm

Leder/Verstärkung Spannseile: nicht näher zu bestimmen (16.10.12 JD)
Maße: Firstlänge 3,3 m (Objektmaß)
Firsthöhe, Seite 1,57 m (Objektmaß)
Wandlänge, obere Kante 13,7 m (Objektmaß)
Wandlänge, untere Kante 16,14 cm (Objektmaß)
Wandhöhe, Seite zwischen 1,57 und 1,76 (Objektmaß)
Kastenmaß im aufgebautes Zelt 3,2 x 3,8 x 6 m (Objektmaß)


Katalogtext:
Das Kasseler Prunkzelt zählt zu den wenigen fast vollständig erhaltenen osmanischen Zelten in Deutschland. Obgleich kleiner und in seiner ornamentalen Ausgestaltung schlichter als die Zelte in Dresden, Berlin oder Ingolstadt, darf es doch zum „Ota -I Hümayun“, dem Komplex der Sultanszelte, oder dem eines Befehlshabers gerechnet werden. Auf Feldzügen der Osmanen spiegelte die Anordnung der Zelte im Lager das Sozialgefüge einer osmanischen Stadt wider: Einfache Zelte der Soldaten entsprachen den Häusern der normalen Bevölkerung, aufwendigere Zeltkomplexe bildeten die Paläste der Oberschicht ab. Im Zentrum der Zeltstadt lag der durch eine textile Einfriedung abgeschlossene Komplex der Sultanszelte, der den Sultanspalast und die Macht des Herrschers symbolisch repräsentierte. Welche Funktion dem Kasseler Zelt in diesem Gefüge zukam, ist kaum zu beantworten. Bildquellen, wie die Darstellung der osmanischen Zeltstadt anlässlich des Beschneidungsfestes von 1720, zeigen eine Vielzahl kleinerer Zelte mit grünlicher Außenhaut und rotem Innenzelt, die sich um mehrere prachtvolle Zelte, darunter ein großes Prunkzelt, scharen. Beim Kasseler Zelt könnte es sich um ein solches kleineres Zelt gehandelt haben. In seiner heutigen Form ist es allerdings nicht regendicht, da die Flächen zwischen den Gurten nicht straff gespannt werden können. Vermutlich wurde es bei Bedarf mit einem Überzelt aufgestellt. Derartige Überzelte sind zwar in den Quellen bezeugt, bspw. in den Inventarbüchern in Dresden, haben sich aber nicht erhalten. Zelte und Zeltzubehör wie Teppiche, Kissen, Matratzen, Behänge und Ähnliches oblagen der Verantwortung und Pflege eines eigenen Korps innerhalb der Zentraltruppen des osmanischen Heers. Dieses fertigte, reparierte und verwahrte die Zelte (Quellen belegen, dass bis zu 100 Jahre alte Zelte noch instand gehalten wurden), kümmerte sich aber auch um den Transport und Aufbau der Zeltstadt im Kriegsfall. Auf Kamel- Karawanen, die gut und gerne 600 Tiere umfassen konnten, wurden die Zelte zum vorherbestimmten Lagerplatz transportiert und dort aufgeschlagen, bevor das Heer eintraf. Die erhaltenen Prunkzelte weisen, bei allen Unterschieden im Detail, zahlreiche Gemeinsamkeiten auf, die auch das Kasseler Zelt prägen. So sind osmanische Zelte aus mehreren Segmenten aufgebaut, die sich zur Wand oder zum Dach zusammenfügen und die ornamentale Gliederung im Zeltinneren vorgeben. Stilisierte Säulen, in diesem Fall in Form von Flechtbändern, begrenzen jedes Segment, während kunstvoll geschwungene Bögen die freien Flächen überfangen. Auf letzteren entfaltet sich der ornamentale Dekor. Osmanische Quellen bezeichnen diese Arkaden als „mihrab“, also mit demselben Begriff, der auch für die nach Mekka gerichtete Gebetsnische in einer Moschee verwendet wird. In diesen „mihrab“ hängen stilisierte Öllampen, die auf denselben religiösen Kontext anspielen dürften. Während die Funktion von Zelten im Allgemeinen gut erforscht ist, liegt die Geschichte des Kasseler Prunkzelts weitgehend im Dunkeln. Weder seine Herkunft noch das Jahr seines Eintreffens in Kassel sind überliefert. Im ältesten Führer des Hessischen Landesmuseums (um 1913) und in den Altakten des Museumsverbands für Kurhessen und Waldeck (1935/36) gilt es ohne nähere Belege als Teil der Kriegsbeute von Belgrad im Jahr 1717. Erstmals nachweisen lässt sich das Zelt allerdings erst rund 140 Jahre später im Inventar des Jagdzeughauses von 1854. Dort lagerte es zusammen mit zwei länglichen und zwei runden Leinenzelten sowie anderen Gegenständen für den Jagdgebrauch, was darauf hindeutet, dass es keinesfalls als Museumsstück, sondern als Gebrauchsobjekt bewertet und bei Festen oder höfischen Jagden wohl tatsächlich genutzt wurde. Seinen Weg ins Museum Fridericianum fand das Prunkzelt schließlich 1876, wo es allerdings weiterhin verpackt blieb und, wie das Inventar lapidar vermerkt, „einstweilen im Treppenhause aufbewahrt“ wurde. Erst mit der Eröffnung des Hessischen Landesmuseums 1913 kam das Prunkstück ans Licht der Öffentlichkeit. Im „türkischen Zimmer“ des zweiten Obergeschosses präsentierte man es „wie es im Felde gebraucht wurde“, also mit der grünen Seite nach außen. Damals war es bereits umgeben von osmanischen sowie anderen orientalischen Waffen der Sammlung. Zum zentralen Exponat der „hessischen Heeressammlung“ und zum Herz des Hessischen Landesmuseums stieg das „Türkenzelt“ in der NS-Zeit empor. Von 1935/36 bis 1937 prägte der Stoffriese – die prachtvolle Innenseite nun nach außen gekehrt – den Antikensaal, mithin den wichtigsten Ort im Museum. In den Folgejahren wieder eingelagert, wurde das Zelt erst 1980 erneut aufgestellt, nun als Prunkstück der militärhistorischen Dauerausstellung in Schloss Friedrichstein. (15.10.12 AS)



Quellen:
Inventar des Jagdzeughauses 1854, Nr. 60

Literatur:
  • Buchhold, Stefanie: Schloss Friedrichstein. Militär- und Jagdgeschichtliche Sammlung. In: Jahrbuch 2009 (2010), S. 66-67, S. 67.
  • Buchhold, Stefanie: Das 'Türkenzelt' i Schloss Friedrichstein. In: Jahrbuch 2009 (2010), S. 108-111, S. 108-111.
  • Löwe und Halbmond. Ein Prunkzelt und Waffen aus dem Osmanischen Reich in Schloss Friedrichstein. Petersberg 2012, S. 93, Kat.Nr. 1.
  • Scherner, Antje: Der Löwe und der Halbmond. Das Osmanische Reich im Spiegel der landgräflichen Sammlungen. In: Löwe und Halbmond. Ein Prunkzelt und Waffen aus dem Osmanischen Reich in Schloss Friedrichstein (2012), S. 33-55, S. 91-93.
  • Scherner, Antje: Zur Neupräsentation des Prunkzeltes und der Waffen aus dem Osmanischen Reich in Schloss Friedrichstein. In: Jahrbuch 2012 (2013), S. 24-27, S. 24.
  • Dummer, Julia: Das "Türkenzelt" in Schloss Friedrichstein. In: Jahrbuch 2016 (2017), S. 106-109, S. 107-109.


Zitierweise:
Es wird empfohlen, folgende Zitierweise zu verwenden:
KP B XVII.429. In: Katalog der Osmanischen Waffen der Museumslandschaft Hessen Kassel (Online-Kataloge der Museumslandschaft Hessen Kassel). Hrsg. von der Museumslandschaft Hessen Kassel, Kassel 2012, http://turcica.museum-kassel.de/209130/, 28.3.2024.


Letzte Aktualisierung: 24.10.2023



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